Auf dem Weg zum leichtesten E-Bike strampeln sich Hersteller ab und pushen sich gegenseitig zu Höchstleistungen. Kompromissloser Leichtbau hat aber auch Konsequenzen ‒ genauso wie maximale Leistung. Die ideale Balance liegt dazwischen.
Höher, schneller, leichter ‒ bei den E-Bikes und Pedelecs überbieten sich die Anbieter mit Superlativen. Doch zumindest nach den Regeln der Physik gehen die Trends zu mehr Performance und weniger Gewicht diametral auseinander. Dies führt entweder zu einem wahren Wettrüsten bei Motorenleistung und Akkukapazität oder zu einer Gewichtsreduktion auf Teufel komm raus ‒ beides geht nicht.
maxon geht mit dem BIKEDRIVE AIR einen leistungsorientierten, aber gewichtsoptimierten Mittelweg. Das lediglich 3,5 Kilogramm schwere Antriebssystem richtet sich in erster Linie an sportliche Ansprüche, schiebt kräftig an, vermittelt dabei aber das natürliche Fahrgefühl eines unmotorisierten Fahrrads: mit Rückenwind beim Aufstieg, agilem Handling in Kurven und optimaler Kontrolle bergab. Auch ästhetische Kriterien kommen zum Tragen, denn dank einem schlanken Design lässt sich der Antriebsstrang durch Bikehersteller unsichtbar in das Unterrohr integrieren. Eine ausgeklügelte Freilauftechnologie sorgt für ein natürliches Ein- und Aussetzen der Unterstützung ‒ dann, wenn sie gebraucht wird.
Wer schon einmal versucht hat, ein 25 Kilogramm schweres E-Bike über einen Zaun zu wuchten oder eine Kellertreppe hinaufzutragen, weiss Leichtbauweise zu schätzen. Besonders im Trail- und Gravel-Bereich spielen die zusätzlichen Kilos eine entscheidende Rolle. Obwohl ein möglichst geringes Gesamtgewicht als erstrebenswert angesehen wird, kommt es bei einem ausgewogenen E-Bike auf viel mehr an. Entscheidend sind die Gewichtsverteilung sowie zuverlässige Komponenten und Rahmenkonstruktionen im Gesamtkonzept. Hersteller wie Cipollini und Transalpes verbauen den neuen Antrieb von maxon bereits in leichten Minimal-Assist-Bikes. Sie schlagen die Brücke zwischen elektrifizierten und herkömmlichen Fahrrädern ‒ eine Kombination aus dem Besten beider Welten.
Gerade leichte Fahrerinnen und Fahrer haben mit dem hohen Gewicht herkömmlicher E-Bikes zu kämpfen. Sie brauchen in der Regel keinen schweren Akku und Motor. Denn mehr Drehmoment verlangt nach einem stärkeren Antrieb, dieser wiederum nach mehr Akkuleistung. Die Batterie ist das schwerste Bauteil und trägt massgeblich zur Gewichtsverteilung und zum Handling der Bikes bei. Solange der Akku Saft liefert, fallen die zusätzlichen Kilos nicht gross ins Gewicht. Ist er aber einmal erschöpft, steht man mit einem schweren E-Mountainbike unter Umständen da wie der Esel am Berg. Da nützen auch 90 Newtonmeter Drehmoment nichts mehr. Ein höheres Gesamtgewicht bedeutet ausserdem eine massivere Rahmenkonstruktion. Die zusätzliche Masse muss beschleunigt und auch wieder abgebremst werden, verändert den Schwerpunkt und das Fahrverhalten negativ.
Auf der anderen Seite des Spektrums ist es inzwischen möglich, dank ultraleichten, effizienten Motoren und kompakten Akkus, E-Bikes unter zehn Kilogramm Gesamtgewicht zu konstruieren. Diese bis ins kleinste Detail optimierten E-Racer bestehen fast ausschliesslich aus Carbon, sind in der Regel Einzelanfertigungen und kosten so viel wie ein Kleinwagen. Kompromissloser Leichtbau geht auch zulasten der Stabilität und des Komforts. Faktoren, die aus der Sicht der Fahrerinnen und Fahrer neben Gewicht und Handling eine zentrale Rolle spielen. Ist ein Rahmen sehr steif, verwindet er sich zwar wenig und überträgt die Kraft effizient von der Kurbel zum Hinterrad. Dies führt jedoch zugleich dazu, dass Schläge vom Boden direkt weitergegeben werden. Steifigkeit und Komfort stehen also zueinander im Widerspruch.
Die Zauberformel für leichte, aber dennoch komfortabel zu fahrende E-Bikes heisst Stiffness-to-weight (STW) ‒ also das Verhältnis von Steifigkeit zu Gewicht. Inzwischen ist die Carbonverarbeitung so weit fortgeschritten, dass Rahmen gebaut werden können, die eine hohe Steifigkeit im Bereich des Tretlagers und des Lenkkopfes mit einem hohen Mass an Komfort vereinen. Dies führt dazu, dass Carbonrahmen die besten STW-Werte aufweisen ‒ allerdings nur im High-End-Bereich. Denn Carbon ist nicht gleich Carbon; hier zählt die Qualität des Werkstoffs und der Verarbeitungsprozesse. Dabei sind viel Know-how, Sorgfalt, Präzision und professionelle Handarbeit gefragt.
Nach Stürzen können sich in mangelhaft verarbeiteten Carbonteilen unsichtbare Mikrorisse bilden ‒ sogenannte Delaminationen. Diese Schäden sind nur auf Röntgenbildern zu erkennen, die betroffene Stelle kann bei weiterer Belastung jedoch unvermittelt reissen. Diagnose und Reparatur können nur von Spezialisten ausgeführt werden und sind in der Regel sehr kostspielig.
Ein E-Bike ist deshalb nur so gut wie sein schwächstes Teil. Wichtig ist, dass Antriebssystem, Bremsen und weitere Komponenten auf das Gewicht abgestimmt sind. Das zulässige Gesamtgewicht hängt dabei auch von der Fahrerin oder dem Fahrer ab und ob Gepäck mit auf die Reise gehen soll. Hochwertige E-Bikes punkten also auch mit anderen Qualitäten als einem möglichst geringen Gewicht: nämlich mit vermitteltem Fahrgefühl, mit Komfort und Langlebigkeit.